Stellen Sie sich vor, zwei Photonen, die kleinsten Quanten des Lichts, treffen auf eine Glasplatte, die 50 % des Lichts durchlässt und die anderen 50 % reflektiert. Diese beiden Photonen können vier verschiedene Wege einschlagen (siehe Abbildung 1); entweder werden beide Photonen reflektiert oder durchgelassen (b) und c)) oder ein Photon wird reflektiert und das andere durchgelassen oder umgekehrt (a) und d)).
Dies ist das klassische Verhalten von zwei Photonen an einem Strahlteiler. Stellt man sich nun aber vor, dass die Photonen eineiige Zwillinge sind und gleichzeitig auf den Strahlteiler treffen, so tritt ein Quanteneffekt auf, der zu einer Bündelung der Zwillingsphotonen führt. Mit anderen Worten: Die Photonen werden immer einen gemeinsamen Weg gehen (siehe Abbildung 1 a) und d)). Dies geschieht jedoch nur, wenn die Zwillingsphotonen gleichzeitig auf den Strahlteiler treffen. Wenn wir ein Zwillingsphoton zeitlich verzögern, also später auf den Strahlteiler auftreffen lassen, dann bündeln sich die Photonen nicht und können den Strahlteiler auch getrennt verlassen. Dieser Effekt wird gemessen, indem man die Zwillingsphotonen zeitlich verzögert und nach dem Strahlteiler prüft, ob in jedem Ausgang ein Photon vorhanden ist oder nur in einem Ausgang, was dann bedeutet, dass sie sich gebündelt haben. Die Ereignisse, bei denen Photonen in beiden Ausgängen gemessen werden, nennt man Koinzidenzen. Wenn die Photonen zeitgleich auf den Strahlteiler treffen, erwartet man eine Bündelung – eine Koinzidenz tritt dann also nicht mehr auf.
Der Photonenbündelungseffekt wird auch als Hong-Ou-Mandel-Interferenz bezeichnet, benannt nach den drei Wissenschaftlern, die ihn entdeckt haben, und kann nicht klassisch erklärt werden. Diese Quanteninterferenz von Photonen ist ein weit verbreiteter Effekt in der Quantenkommunikation und -berechnung.
Physiker*innen der Universität Paderborn ist es gelungen, Quanteninterferenz in einer neuartigen Materialplattform namens Dünnschicht-Lithiumniobat nachzuweisen, indem sie den Strahlteiler auf dieser Plattform implementierten. Ein Strahlteiler besteht dabei aus zwei geraden Wellenleitern, die über eine bestimmte Länge in unmittelbare Nähe zueinander gebracht werden (siehe Abbildung 2) und dann getrennt werden. In dem Bereich, in dem sie nah nebeneinander verlaufen, kann Licht von einem Wellenleiter in den anderen einkoppeln.
Dünnschicht-Lithiumniobat hat in den letzten Jahren aufgrund seiner hervorragenden optischen Eigenschaften, die sich aus der Struktur des Materials ergeben, an Aufmerksamkeit gewonnen. Es besteht aus drei verschiedenen Schichten. Die erste ist eine dünne Schicht (300 –1000 nm) aus Lithiumniobat, einem Material, das häufig für integrierte Quantenphotonik verwendet wird. Die zweite Schicht ist ein Isolator (hier Siliziumdioxid SiO2) und die dritte Schicht ist ein Trägersubstrat. Mit dieser Materialplattform ist es möglich, Licht zu erzeugen, zu manipulieren und zu detektieren, was z. B. für einen Quantensimulator notwendig ist. Im Vergleich zu massivem Lithiumniobat ist Dünnschicht-Lithiumniobat effizienter und Bauteile können kompakter gefertigt werden.
Das Team um Prof. Dr. Christine Silberhorn hat die Quanten-HOM-Interferenz in einem Richtkoppler aus Dünnschicht-Lithiumniobat gemessen. Das Ergebnis (siehe Abbildung 3) stimmt gut mit der Theorie überein: Wenn es keine Zeitverzögerung zwischen den Zwillingsphotonen gibt, sie also den gleichen Weg nehmen, werden weniger Koinzidenzen gemessen. Wenn es jedoch eine Zeitverzögerung gibt und die Zwillingsphotonen unterschiedliche Wege nehmen können, nehmen die Koinzidenzen zu. Dieser Machbarkeitsbeweis ebnet den Weg für anspruchsvollere Quantenexperimente und -anwendungen auf der neuen Materialplattform.
Der Artikel über dieses Experiment wurde in der Fachzeitschrift Optics Express Vol. 31, Issue 14, pp. 23140-23148 (2023) veröffentlicht.